Schleier

Schleier

Schleier, das Symbol des Mystischen und Verschämten, kam als solches im Alterthume den Priestern und Frauen zu. Um ihre Heiligkeit zu bezeichnen, umschleierte man selbst bei mehreren religiösen Festen die zur Feier gehörigen Geräthe, die innersten Räume der Tempel. Die bei allen morgenländischen Nationen streng verschlossenen Frauen müssen, wenn sie ausgehen, ja selbst gemeiniglich in ihren Wohnungen, den Schleier tragen, und das Umgehen dieses vom Wohlstande gebotenen Gesetzes wird für eben so große Schamlosigkeit gehalten, als wenn eine Abendländerin sich ohne Kleidung zeigen wollte. Unter den Juden galt ehemals diese Sitte auch und zwar in dreifacher Bestimmung. Der eine Schleier, Radid, bedeckte Kopf und Stirn, und fiel in zwei Zipfeln auf die Schultern herab. Der andere, Raol, war, wie noch jetzt der Schleier gemeiner Araberinnen, in der Augengegend befestigt und fiel bis über die Brust. Der größte, Zaith, bedeckte das Vorder- und Hinterhaupt vollkommen, wie der, den die Frauen der Moslims beim Ausgehen überwerfen. Die Farbe der Schleier war und ist vorzüglich weiß. Einen feuerfarbenen Schleier, flammeum genannt, trugen die Bräute im alten Rom. Der schwarze Schleier galt immer als Trauer (China ausgenommen, wo man weiß trauert), und zum Zeichen des Ausscheidens von den Lebendigen bedeckte man die schuldige Vestalin, wenn sie in ihr Grablebend hinabgestoßen wurde, mit einem schwarzen Schleier. Die Nonnen des Mittelalters trugen je nach der Ordensregel weiße oder schwarze Schleier; nur die von der wenigst strengen Schwesterschaft der heiligen Annunciata hatten himmelblaue. Eine Zierde hoher Frauen waren zur selben Zeit die das Gesicht nicht unmittelbar verhüllenden Schleier, die vom Hinterhaupte frei herabwallten und aus den feinsten Stoffen bestanden. Der Zeug, den Kloster- und unbemittelte Frauen trugen, war eine dünne Leinwand, die gestärkt sich lange weiß und in den bestimmten Falten erhielt. Die Morgenländerinnen benutzen zu ihren Schleiern gewöhnlich den Musselin, da es ihnen nicht bloß um Putz, sondern um wirkliches Verschleiern und Schutz gegen die Sonne zu thun ist. Die Südländerinnen niederer Klassen tragen noch immer Schleier von derben, dichten Stoffen. Vornehme Spanierinnen hüllten sich, ehe die französischen Hüte auch auf der Halbinsel jenseits der Pyrenäen Eingang fanden, in kostbare Blonden- und Spitzenschleier, die Mantillen, die sich jetzt auf diese Weise nur noch in den von Spanien und Portugal ausgegangenen Töchterstaaten Amerika's, allgemein finden. Die Isländerinnen winden ihren leinwandenen Schleier zu einem eigenthümlichen Kopfputze wie einen Turban zusammen, und die italienische Bäuerin trägt ihn bekanntlich wie ein umgebogenes Bret nach dem Nacken herabhängend. Unsere modernen Putzschleier sind aus Flor, Spitzen oder Blonden, und nur Zierrath, außer auf Reisen, wo selbst der kleinste über den Hut hinuntergehende Schleier wesentliche Vortheile gewährt, besonders der grüne. Blaue und rosa Schleier, wie kürzlich die Mode vorschrieb, erinnern an Feenmährchen, und stehen nur sehr jungen, niedlichen Gesichtern wohl an. Ein vordem beliebter Stoff von dünnen Linnen hieß Schleier.

F.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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