Amme

Amme

Amme ist eine Mutter, die ein fremdes Kind an ihrer Brust nährt. In den ältesten Zeiten stillte jede Mutter ihr Kind selbst, und Königinnen verrichteten jede Arbeit der Kindererziehung; Alkmena stillte den Herkules und Iphikles gleichzeitig, und wusch sie und legte sie auf's eherne Schild. Später ward den Frauen die Pflege der Kinder nach der Niederkunft und dem beschwerlichen Wochenbette drückend, man führte die Ammen ein, und dieser Gebrauch nahm so überhand, daß es im alten Rom als ein Zeichen höchster Armuth galt, wenn eine Mutter ihr Kind selbst stillte. Die Alten nahmen Sklavinnen, kauften fremde oder brauchten edle Gefangene zum Ammendienst. Die Amme war geehrt im Hause, blieb Kinderzieherin, wenn sie auch nicht mehr Amme sein konnte, schlief im Vorgemach der Töchter, bewahrte die Sittenreinheit ihrer Gemüther und begleitete sie gewöhnlich in's Haus des Mannes. Rebekka ward von ihrer Amme begleitet und Medea klagt im Euripides, daß sie allein und ohne ihre Amme sei und der Julia gab Schakespeare die Amme zur Vertrauten ihrer Liebe. Den Telemach pflegte die alte Euryklea, die Laertes um zwanzig Ochsen einst gekauft und dem Ulysses zur Amme gegeben hatte. Die lacedämonischen Ammen waren sehr berühmt in ihrer Art, weil sie die Kinder nicht wickelten, sondern den Gliedern derselben freien Spielraum ließen, und Alcibiades war von einer spartanischen Amme gesäugt worden. Merkwürdig erscheint es, daß das Verhalten der Ammen gegen die Kinder, vor Jahrtausenden dasselbe war wie heute. Griechische und römische Schriftsteller erwähnen, daß die Ammen die Kinder mit Kuchen, Klappern, dem Absingen sonderbarer, oft bedeutungsloser Weisen, wie lalla, lalla, lalla, durch Larven, die sie vor dem Kinde aufhingen oder andere, Furcht erregende Gegenstände, durch Drohungen mit dem Wolf u. s. w. beruhigt oder zum Schlafen gebracht hätten. Das beruhigte Kind trösteten sie damit, daß der Wolf nun todt sei, oder getödtet werden sollte, wenn er jetzt zum artigen Kinde käme. – Gewöhnlich hatten die Ammen einen Sklaven zur Seite, Nutritor genannt, der die Aufsicht bei den Kindern hatte. – Die Ammen waren die Trösterinnen ihrer Pflegebefohlnen, wenn sie erwachsen waren, und diese dagegen achteten sie sehr hoch, deßhalb rief Alexander aus, als er den Klytus, den Bruder seiner Amme erschlagen hatte, ich bin nun allein noch übrig von ihren Verwandten, den sie nicht liebend anschauen wird und der ihr beim Andenken an ihr Leiden, die Rechte nicht wird bieten können. – Das Ammenwesen ist im Ganzen widernatürlich und eine Ausgeburt der Mode und oftmals einer strafbaren Bequemlichkeit und Eitelkeit, die ihren Grund in der Verweichlichung hat, da schwächliche Weiber allerdings durch das Stillen angegriffen werden; gesunden kräftigen Frauen aber ist es nur zuträglich und die Unterlassung in jeder Beziehung schädlich. Wohl mag es für Weltdamen etwas unbequem sein, aber welchen Freuden entsagen sie! Dieß können wir nur aus dem Schmerze abnehmen, mit dem ein gut geartetes Weib dem zarten Sprößling diese heiligste Nahrung entzieht. Muß eine Mutter nicht herzlos oder eine kränkliche nicht höchst unglücklich sein, wenn sie sieht, daß das Kind, welches der Schlag ihres Herzens belebte, die fremde, vielleicht rohe Amme als seine Mutter liebt, und die Händchen weinend nach der Lohndienerin ausstreckt, wenn sie es zu sich nehmen will. – Viele Nachtheile knüpfen sich an den Gebrauch einer Amme, denn es ist nicht zu läugnen, daß die Nahrung des Körpers mit der Bildung der Seele Hand in Hand geht, und viel Wahrheit liegt im Ausdruck: das ist mit der Muttermilch schon eingesogen worden. Die Ammen erlauben sich ebenfalls aus Bequemlichkeit, die bei ihnen eher entschuldigt werden kann, als bei einer Mutter, die heilige Pflichten hat, verderbliche Kunstgriffe, die Gebrechen, Angewohnheiten und Laster für die Zukunft begründen, und der geringe Grad ihrer Bildung beengt im ersten Anfange den Ausflug des kindlichen Geistes, und ihre unvollkommenen Begriffe pflanzen sich in's Gemüth der Kinder mit unvertilgbarer Festigkeit. Ihr Hang zum Abenteuerlichen, die Sucht, Schreckbilder den Kindern vorzumalen, und widersinnige Geschichten, Ammenmährchen zu erzählen, erzeugen besonders eine im ganzen Leben fortwirkende Schwäche, die Furcht und die lächerlichste Seite derselben, die Gespensterfurcht. – Ist eine Mutter so unglücklich, ihre Bestimmung und heilige Pflicht verläugnen zu müssen, so sei sie unter dem Beirathe eines verständigen, das Leben des Weibes durchschauenden Arztes sorgfältig bemüht, ein möglichst moralisch und körperlich gesundes Weib zur Ernährerin ihres Kindes aufzufinden, und erlaube demselben die fremde Brust nur bis zu der Zeit, wo die Begriffe des Kindes sich entwickeln, damit obige Einwirkungen weniger Statt finden können, und das Kind von seiner wirklichen Mutter sich nicht abwende.

D.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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