Frankreich (Frauen)

Frankreich (Frauen)

Frankreich (Frauen). Paris ist das Herz Frankreichs; wenn wir daher von Frankreichs Frauen sprechen, müssen wir hauptsächlich die Pariserinnen im Auge haben; denn in ihnen spiegelt sich, wenn gleich abgeschliffen durch die Routure der großen Welt, mehr oder minder der Charakter aller französischen Frauen. Die Pariserin hört nie auf Französin zu sein; die Frau des Departements ist Französin und wird höchstens noch Pariserin. Darum ist Französin und Pariserin fast gleich bedeutend; es ist dieß nur das bestimmte, schärfere Gepräge eines und desselben Metalles. Leben und Sitte der Hauptstadt leuchtet natürlich den Departementsstädten als Prototypus vor, und in der eleganten Welt ist es doch nur immer die Dame höhern Ranges, die Dame von Bildung und Erziehung, die in Betracht kommt. Es entsteht nun die Frage, wie ist der Grundcharakter der Französinnen, der sich mehr oder minder, denn Modifikationen gibt es überall, selbst im stereotypen China, im Guten und Schlimmen gleichbleibt? Chamäleontischliebenswürdig und liebenswürdig-chamäleontisch. Mit diesem Worte ist vielleicht alles Gute und Schlimme erschöpft und des Guten ist wie überall bei den Frauen auch hier mehr. Sie zeichnen sich durch Lebhaftigkeit des Geistes und durch Willenskraft vor den germanischen Frauen vortheilhaft aus; doch stehen sie ihnen an Sanftmuth, Zartheit und Nachgiebigkeit weit nach. Ihre Wünsche sind heftig, ihre Entbehrungen schmerzhaft; die deutsche Frau weiß demuthsvoll zu dulden, die Französin klagt laut und leidenschaftlich und ist immer au désespoir. Ihr Geist hat oft eine männliche Richtung; nicht wie die deutsche Frau sucht sie ihre Ideale im Bereiche der Phantasie, ihre Befriedigung im Kreise der Häuslichkeit, des stillen Wirkens; sondern draußen im Leben, in der Wirklichkeit voll kühner Ansprüche. Aber sie glänzen, imponiren dafür in der Welt; sie sind die Göttinnen der Salons; was die Grazie huldigt, unterwirft sich ihrem Scepter; was geistreich ist, strebt in ihre sonnengleiche Nähe; sie beherrschen den Geschmack und geben ihm ihre Weihe; ihnen ist Alles zugänglich: Literatur, Kunst, Philosophie, Politik. Manche neue Lehre wurde nur durch sie in die Welt geführt; manches verborgene Genie durch sie auf einen höhern Standpunkt erhoben; sie wurden die Ciceroni so mancher vergessenen oder wenig beachteten Größe. Ihr Streben concentrirt sich nicht nach Innen; es sendet die Radien nach Außen, und führt so Alles in sein Bereich. Sie sind die Priesterinnen am Altare des Schönen, die Richterinnen im Gebiete des Geschmackvollen. Auch der tugendhaftesten, schönsten Französin genügt es nicht, tugendhaft und schön zu sein; sie will auch glänzen, glänzen durch Geist, Phantasie, Witz oder Laune. Die Schönheit gilt ihr als Zufälligkeit; aber den Geschmack, die Grazie, die geistvolle Koketterie betrachtet sie als ihre Schuldigkeit, glaubt sie als unerläßliche Mitgift in die Welt bringen zu müssen. Ja die Grazie ist ihr Palladium, das sie von der Wiege bis in's hohe Alter geleitet; es ist aber keine einfache, griechische Grazie, sie ist verfeinert; sie wandelt nicht zierlich aufgeschürzt durch die heiligen Haine und Thäler von Hellas und durch die Götterscharen des Olymps, sondern über die Teppiche des hellerleuchteten Salons, durch die Kreise von Herzogen, Diplomaten, Gelehrten, Künstlern und Schöngeistern; sie trägt Atlasschuhe und Sevignes, Federbaretts und Glacéehandschuhe; aber es ist doch eine Grazie, wie wir sie brauchen, die wir keine Griechen mehr sind. Und diese Grazie hat überall in den Zirkeln der gebildeten Nationen der Erde Eintritt gefunden; sie war ein liebreizendes, kokettes, in ihren Launen immer neues und immer pikantes Kind, das gleich heimisch, behaglich wurde, sobald sie kam, und die man nicht wieder scheiden ließ. Die Koketterie der Französin ist nicht schroff, nicht häßlich, nein sie ist liebenswürdig, und die ganze Aufgabe ihres Lebens ist doch nur, liebenswürdig zu erscheinen. Die Koketterie, die Galanterie ist das Lebenselement der eleganten Französin; sie ist bei ihr, was der Farbenstaub auf den Flügeln des Schmetterlings; seiner entkleidet ist der Papillote ein unscheinbares Insekt; denn nur im Sonnengolde spielen seine bunten Contouren. Die unverheirathete Französin, das Mädchen, liebt treu, tief und innig; die Frau gelangt zu größerer Freiheit, Die Galanterie wird das Bereich ihrer Laune; sie hat gegen keine schwerfällige Eifersucht zu kämpfen, sie tändelt mit dem Scheine der Treulosigkeit, ohne treulos zu sein; ihr genügt es vielleicht, von Einem geliebt, aber sie muß von Vielen bewundert, angebetet werden. Sie spielt mit der Gefahr, wie mit den tiefern Empfindungen des Herzens und freut sich des Sieges über. sich selbst zugleich mit dem Siege über Andere. So sucht sie den Kampf, fordert heraus, um immer von Neuem ihre Liebeswaffen gegen den Feind zu erproben. Der Ruhm, die Liebenswürdigste zu sein, gilt ihr höher, als der der Schönsten; wenn sie durch Reize imponirt, will sie durch Geist fesseln. Die häuslichen Tugenden übt sie, ohne stolz darauf zu sein, weil man mit ihnen nicht glänzen kann. Sie spricht viel, schwatzt liebenswürdig, sucht aber schön zu sprechen und amüsant zu schwätzen. Ihr schrecklichstes Gespenst ist die Langeweile. Eine Französin würde lieber ihren Ruf opfern, als in den Verdacht der Langeweile kommen wollen. Sie hält es nicht für Pflicht des Mannes, sie zu amüsiren – er braucht zuweilen nur das Thema anzugeben, und sie amüsirt ihn und sich. Jede will ein Centrum, eine Sonne sein, um welche sich die Männerplaneten versammeln; daher das ewige Streben, einander die Anbeter abspenstig zu machen. – Ein Schriftsteller sagt von den Französinnen: »Man darf nicht glauben, daß das weibliche Geschlecht in Frankreich weniger züchtig und keusch sei, als in andern Ländern, wie oft der mehr an ceremoniöse Steifheit gewöhnte Deutsche geneigt ist zu urtheilen, wenn er bei dem weiblichen Geschlechte eine gewisse Ungezwungenheit bemerkt; denn die Unverheiratheten sind oft frei mit dem Munde, aber zurückhaltend mit der That; sie werden auch außer den Gesellschaften höchst eingezogen gehalten und erlangen erst durch die Ehe eine größere Freiheit.« Man beschuldigt sie des Leichtsinnes; aber dieser leichte Sinn ist in der Liebe Häufig ein tiefer Sinn. Frankreich ist das Land der Selbstmorde aus Liebe; denn die Liebe ist dort rasch, feurig, hingebend, verzehrend, vielleicht auch leicht vergänglich. Aber sie ist als Liebe nur Liebe, eine Welt ohne Außenwelt, ein Moment voll überschwänglicher Seligkeit, die das Morgen, die Zukunft, Elend, Gefahr, Schmach und Tod nicht kümmert. Die Französinnen haben die lebendigste Auffassungsgabe unter allen europäischen Frauen. Alles Neue ergreifen sie mit Feuer, unbekümmert, ob vielleicht das Feuer sie selbst verzehrt; damit paart sich ein Hang zur Abenteuerlichkeit, aber auch Muth, Hochherzigkeit, Kühnheit, Todesverachtung. Vielleicht konnte nur Frankreich eine gottbegeisterte Johanna d' Arc, eine schlachtenmuthige Margot Stofflet hervorbringen! – Der ihnen inwohnende Geschmack, ihre Launenhaftigkeit hat sie zu Schöpferinnen der Moden gemacht; da sie stets gefallen wollen, müssen sie mit den Mitteln dazu auch stets wechseln. Und ihr richtiger Takt fühlt es sehr wohl, wie der natürliche Reiz durch die Kunst leicht zu erhöhen, das Gewöhnliche zum Besondern zu machen, das Grelle zu dämpfen, das Entstellende zu verbergen sei. Bei dieser mehr geselligen und öffentlichen, als häuslichen Richtung der Französinnen ist dort die Ehe auch im Wesentlichen verschieden von der unsrigen, konnte es auch kommen, daß die Sitten, namentlich zu Anfang des 18. Jahrhunderts, frivol wurden, daß schon zwei Jahrhunderte vorher Geliebte und Gattin fast gleichbedeutend war, was die Ehrbarkeit in Deutschland nie zuließ. Das Beispiel wurde dort von den Thronen aus gegeben und die vornehme Welt ahmte dieß nach; in Deutschland wäre es selbst unter diesen Umständen nicht möglich gewesen. Wir leben mehr nach Principien, als nach dem guten Tone; der gute Ton hat dort oft den Sieg über die Moral davon getragen. Aber in neuerer Zeit ist es dort viel anders, viel deutscher geworden. Man findet es nicht mehr lächerlich, wenn sich auf Promenaden der Gatte nur auf die Gesellschaft seiner Gemahlin beschränkt, wenn er mit ihr ausfährt, sie am Arme um die Boulevards begleitet. Der Zauber einer edlen Häuslichkeit hat Anklang gefunden, die Ehen hören mehr und mehr auf, bloße Convenienzen zu sein; die Grundsätze des wahren Anstandes, der Sittlichkeit haben über die Gesetze des bon ton triumphirt, die Generation hat sich veredelt. Untreue ist nicht mehr Bizarrerie, Galanterie, sondern Verbrechen. Frankreich hat bei dieser Gesammtrichtung des Geistes seiner Frauen in allen Fächern der Künste und Wissenschaften so viele Ausgezeichnete hervorgebracht, als kaum ein anderes Land Europa's; denn wie sie schärfer auffassen, durchdringen sie auch schneller Alles; sie denken mehr als sie fühlen! Der Deutschen ist das Fühlen Beschäftigung, der Französin nur das Denken, jenes nur Spiel. Wir nennen unter ihren Schriftstellerinnen und Dichterinnen hier nur eine: Deshoulières, du Boccage, Du–Deffant, Espinasse, Sévigné, d'Aunay, Dacier, Genlis, Staël, Campan etc., und unter den Neuesten die Herzogin von Abrantes, Madame Tastu, Vallmore, Elise Mercoeur, Madame Dudevan. Viele französische Fürstinnen gaben während der Minderjährigkeit ihrer Söhne mit kräftigem Arme das Scepter geführt. Nicht selten sind die Beispiele von hingebender Liebe und aufopfernder Zärtlichkeit, wie bei Agnes Sorel. Jene fürstlichen Geliebten, die in Frankreichs Geschichte eine so bedeutende Rolle spielten, beherrschten größtentheils nicht allein durch ihre natürlichen Reize, sondern vielmehr durch die des Geistes, ihre Gebieter; wir nennen z. B. eine Estampes, Diana von Poitiers, Ninon, Gabriele d'Estrée, Montespan, Pompadour. Zum Schlusse entnehmen wir noch aus Schütz's Erdkunde, die Schilderung der schönen Frauen von Arles. Es heißt dort: »Von keinem Orte Frankreichs ist die Schönheit der Weiber und Mädchen schon seit langer Zeit berühmter als von Arles in der Provence. Die Arleserinnen haben einen Teint von blendender Weiße; ihre Züge sind angenehm und regelmäßig; ihre Haare schwarz wie Ebenholz; ihr Wuchs ist schlank und fein, ihr Blick bezaubernd und eine angenehme Lebhaftigkeit beseelt ihr Gesicht. Nirgend wird die provençalische Sprache besser gesprochen, und sie ist im Munde der schönen Arleserinnen von ungemeiner Lieblichkeit. Die Worte, die sie brauchen, sind eben so verführerisch als ihr Ausdruck einnehmend ist. Die allerliebsten Diminutiven, deren sie sich bedienen, haben nur im Italienischen und Castilianischen etwas Aehnliches. Auch trägt die Kleidung, die wenigstens bei dem gemeinen Volke daselbst noch herrschend ist, Viel dazu bei, den Glanz der Schönheit zu erhöhen und den seinen Wuchs auf's Vortheilhafteste auszuzeichnen. Die Rocke sind alle von einer Farbe, weiß im Sommer, braun im Winter; sie reichen gerade so weit, um einen niedlichen Fuß nicht zu verhüllen, der auch bei Dienstmädchen in einem weißseidenen Strumpfe steckt. Ein scharlachrothes, fest anliegendes Wams, mit langen, eng schließenden Aermeln, kleidet den Oberleib. Das Haar ist in ein grün seidenes und beblumtes Tuch gewickelt, auf welches zum Schirm gegen die Sonne ein heruntergeschlagener Hut gesetzt wird. Den rechten Arm umfaßt hinter der Hand ein goldener oder silberner Ring. »Eben so,« heißt es weiter, »wird die Normandie wegen der Schönheit und Liebenswürdigkeit des weiblichen Geschlechts gerühmt und allenthalben findet man unter den Mädchen angenehme Muster von Artigkeit, welche bei den Franzosen mehr als die Schönheit selbst geachtet wird.«

–n.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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