Constantinopel

Constantinopel

Constantinopel, das alte Byzanz, die Stadt Constantin's des Großen, wo dieser Herrscher auf der alten Hellas Trümmern das oströmische Kaiserthum gebaut, die Wunderstadt, wo Erinnerungen von mehr als zwei Jahrtausenden schlummern, wo hoch das Kreuz glänzte, bis christliche Entartung und fanatische Gewalt es stürzten und der Halbmond mit bleichem Lichte an seine Stelle trat, Constantinopel, ehemals die Stadt der Paläste, die Residenz eines schwelgerischen Hofes, Sitz der Gelehrsamkeit, welche aus Rom und Hellas hierher geflohen, das letzte Asyl der Künste – ist tief von seiner einstigen Höhe herabgesunken; aber immer noch eine Weltstadt, immer noch imposant, immer noch ein Paradies in seinen Umgebungen. Auf einer Meerzunge im Bosporus liegt die alte Stadt, rechts über dem Hafen Pera und am asiatischen Ufer, durch den Kanal getrennt, Scutari. Das Auge kann mit einem Male drei prangende Städte überblicken. Und wie reizend sind die Ufer zu beiden Seiten der schmalen Gewässer! Ueberall leuchtende Kioske, Landhäuser, üppige Gärten, feierliche Kirchhöfe, Schlösser – unten die blaue Meeresfluth mit Tausenden bunter Wimpel bedeckt, Schiffe aller Gattung, ruhig umherziehend wie Schwäne, oder die Fluth durchgleitend wie Möven, und über Allem diesen hängt wie eine ungeheure Sapphirschale der tiefblaue wolkenlose Himmel, leuchtend zur Erde hernieder, die selbst leuchtend wie ein blühendes Kind zu ihm emporblickt. Dort liegt mit seinen Häusermassen, beinahe amphitheatralisch ausgedehnt, das alte Byzanz, von Byzas dem Argier schon 660 vor Christus erbaut, von Constantin mit Bauten für 60,000 Pfund Goldes verschönert; seine majestätische Kuppel ist die der Sophienkirche, welche Constans und Iustinian erbaut, der Sieger Mahomed II. aber 1453 den 29. Mai zur Moschee eingeweiht hat; links ragen die sieben Thürme empor, wo das goldene Thor der Byzantiner stand. Dort an der Kanonenpforte fiel der letzte Paläologe im Sturme von der Ungläubigen Hand! Zwischen dem Häusergewimmel der Siebenhügelstadt tauchen die Kuppeln zahlloser Moscheen und Tausende von Minarets empor; – den Hintergrund begränzen Gärten vom mannichfaltigsten Grün. Der Beschauer träumt sich zurück in die alte Zeit und Pracht der christlichen Herrlichkeit; da tönt plötzlich von einem Minaret in langgedehnten Lauten der Ruf des Muezzins zum Gebete, und von Allen hallt er wieder und die Gläubigen werfen sich in den Staub und berühren mit ihrer Stirne die Erde. Und es ist plötzl:ch eine andere Welt, ein Riesengrab von prächtigen Trümmern, ein fremdes Leben über den Spuren eingesargter Jahrhunderte! – Schon beim ersten Anblick sieht man, daß hier eine halbwilde Horde aus Asien ihre schweigsame Herrschaft führt. – Barggren sagt: »Denkt man an die Vergangenheit, wie schön muß sich die Stadt, gleich dem ewigen Rom auf ihren sieben Hügeln, über das Land und Meer erhoben, wie glanzvoll durch Künste und Wissenschaften, durch Geld, Reichthum und Pracht muß sie dagestanden haben. Dort schimmerte die Goldstadt, dort bog sich das Goldhorn (der Hafen), dort floß der Goldfluß, dort murmelte die Goldquelle, dort erhob sich die Goldpforte, dort klang die goldene Harfe, dort saß die lobredende Klio und zeichnete mit ihrem goldenen Griffel für die Nachwelt das Wahre, welches durch Laster und Verbrechen noch nicht ausgelöscht ist, auf, und dort schwebten zwei Engel mit dem goldenen Kreuze vom Himmel, welches auf dem Tempel der ewigen Weisheit thront, herab. Sieht man die Gegenwart, ach, gewiß wölbt sich hier derselbe herrliche Himmel, gewiß sind hier dieselben spiegelhellen Fluthen und in diesen Hainen singt noch die Nachtigall, klagt noch die Turteltaube; dort murmelt die Quelle des himmlischen Wassers, dort prangt die goldene Burg des Serails, dort duften Rosengärten, dort grünt das Frühlingszelt, dort erhebt sich der Palast der Sicherheit, dort strahlt die Pforte der Glückseligkeit, dort schwebt der Prophet auf El-Borak herab und befestigt den Halbmond auf der Aja Sophia. Aber gesprungen sind die Saiten der Harfe, mit Blut wird die Geschichte gezeichnet, mit Blut wird die Quelle des himmlischen Wassers gefärbt und in jener goldenen Burg des Serails hört man nur die Säbelhiebe der Henker klirren und die Hammerschläge fallen, welche die Köpfe der Gemordeten an die beschmuzten Wände nageln; in jenem Rosengarten weinen die Jungfrauen Cirkassiens, in diesem Frühlingszelte ist der Zephyr ein Pestwind, in diesem Sicherheitspalaste lebt der Tyrann; jene Pforte der Glückseligkeit führt zum Jammer der Schönheit, und jener Halbmond geht blutroth auf über dem vom Blute rauchenden Kreuze.« Kaum tritt der Wanderer vom Quai in die schmuzigen Straßen, so erinnern schon die verschiedenen Gesichtsfarben, Kleider, Turbane, Mützen, daß er an der Grenze des Orientes ist. Fremdartig erscheint die gänzliche Abwesenheit des weiblichen Geschlechts. Man hört kein Wagengerassel, kein Glockengetön, Türken, Armenier, Juden schleichen sachte in Pantoffeln düster und schweigend neben einander dahin, seltsam sticht zuweilen ein leichter Franke (Europäer) gegen die schwerfälligen, weit verhüllten Gestalten ab.Galata und Pera haben schon ein mehr europäisches Aussehen; hier stehen die Hotels der Gesandtschaften, hier wimmelt es von europäischen Kaufleuten und fränkischen Abenteuerern; hier gibt es elegante Häuser und reinliche Straßen. In Constantinopel selbst sind die Straßen eng, unregelmäßig und im höchsten Grade unsauber, die Häuser aus Holz und Ziegeln gebaut – daher die häufigen Feuerbrände – nach den Straßen zu keine Fenster, keine Façaden, keine Portale. Die Bauart gleicht mehr oder minder der in allen Städten des muhamedanischen Orients. Es ist, als hätten die Türken, aus Furcht, bald wieder vertrieben zu werden, so schlecht gebaut, und wunderbar hat der Glaube – ihr Reich würde in Europa bald ein Ende nehmen – in neuester Zeit nur eine höhere Schwungkraft erhalten. Deßhalb legen sie auch ihre Kirchhöfe, diese und ihre Kiosk sind die einzigen Anlagen, auf welche sie Sorgfalt verwenden – in Scutari auf der asiatischen Küste an. – Die Umgegend Constantinopels ist, trotz der segensreichen Natur, nur wenig angebaut. Das alte Tempe der Griechen ist ein einfacher Garten, in den Thälern gibt es meist nur Küchengärten und Gemüsefelder, doch sieht man auf den Hügeln auch Platanen, Trauerweiden, Maulbeerbäume, Lotos und Dattelpalmen; dazwischen ragt das düstre Grün der Fichten und Cypressen hervor. Es gedeihen hier 850 Arten Pflanzen. – Der prächtigste Theil Constantinopels, die Residenz des Sultans, seiner Frauen, Kronbeamten etc. ist das Serail (s.d.). Es ist ein Hause an einander stoßender Häuser und Höfe und liegt im Dreieck an der äußersten Spitze der Erdzunge. – Die Türken, Beherrscher dieses Paradieses, unwürdige Erben einer Jahrtausend alten Größe, betragen kaum die Hälfte der Einwohnerzahl. Sie haben keine Achtung vor andern Nationen, sind anmaßend, stolzträge; aber selten findet man unter ihnen Diebe. Eine allgemeine Polizei gibt es hier nicht, eben so wenig eine Gesundheitspolizei. Das Aas der gefallenen Thiere, der Schmutz aus den Häusern bleibt auf den Straßen liegen; dem Regen, den vielen herrenlosen Hunden und Raubvögeln bleibt es überlassen, eine Art Reinlichkeit zu erhalten. Daher erscheint jährlich das Tausende von Menschen mähende Ungeheuer, die Pest. – Die Urtheilsvollstreckung für Vergehen und Verbrechen ist schnell und öffentlich. Der Henker bedarf nur eines Nagels und Strickes – an dem ersten, besten Laden knüpft er den Verurtheilten auf. Köpfungen werden in einer Ecke der Straße vorgenommen – der Leichnam bleibt liegen. Gleichgiltig gehen die Türken vorüber, der Fatalismus macht sie stumpf gegen das eigene wie das fremde Leben. Hat ein Bäcker zu leichtes Brod gebacken, so wird er mit dem Ohre an seinen Laden genagelt. Ist er selbst nicht zu Hause, so muß sein Sohn oder Diener die Strafe leiden. Aber die Polizei darf in kein Harem dringen und sogar nur auf besondern Befehl des Groß-Vesirs eine Hausuntersuchung vornehmen. Der häusliche Herd selbst eines Rajah (nicht-türkischen Unterthans) wird für heilig gehalten. Die Kleiderordnung für die Rajahs ist sehr streng. Der Armenier darf nur kirschfarbne Stiefel, der Jude nur blaue, der Moslim allein gelbe Pantoffel tragen. Eben weil die Polizei in das häusliche Leben keine Einsicht hat, so verbirgt sich hier oft das abscheulichste Verbrechen im Dunkel der Nacht. Die türkische Einwohnerzahl wird sich auf 200,000 Mann belaufen. Griechen gibt es 60,000. Sie werden sehr verachtet und gemißhandelt. Gleich groß ist die Anzahl der Juden, welche von den Türken weniger hart behandelt, aber durch hohe Abgaben gedrückt werden. Sie sind die größten Feinde derGriechen. Wie überall beschäftigen sie sich auch hier mit Handel, Banquier- und Mäklergeschäften. Ihre Weiber dringen in die Harems und verkaufen hier Putz und Tand – sie machen auch die Zwischenträgerinnen, und was wir von dem häuslichen Leben der Türken wissen, haben wir ihren Mittheilungen zu verdanken. Die Juden sind Abkömmlinge jener aus Spanien vertriebenen und sprechen das Kastilianische mit hebräischen Wörtern untermengt. Geachteter sind die Armenier; kluge Kaufleute, regsam, industriös, meistens reich. Ihre Anzahl beträgt gegen 100,000. Nur die Rajahs müssen Abgaben zahlen, der Moslim, als Herr und Eroberer, ist frei, bis auf seinen Kopf, den ihm jeder Urtheilsspruch ohne Prozeß nehmen kann. Das Leben der Frauen in Constantinopel gleicht ganz dem der übrigen im Oriente und wir verweisen auf die betreffenden Artikel. Die Franken (Europäer) in Pera theilen sich in mehrere Nationen; es gibt eine französische, deutsche, englische, italienische Nation. Sie stehen unter ihren respect. Gesandtschaften. – Ueber Religion, Sitten, Gebräuche etc. der Türken sehe man die Art. Muhamedaner und Türken.

–n.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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