Tancred

Tancred

Tancred. Mild und buhlerisch weht der Westwind über die blauen Wogen des neapolitanischen Meeres. Wie eine purpurne Idylle erglänzt die Insel Capri in den Strahlen der Abendsonne, und Tiberius' bleicher, grauenhafter Schatten birgt sich scheu in der Tiefe des Oceans. Denn eben erklingt gegenüber aus Sorrento's Lorbeerhaine in silberklaren Tönen ein begeistertes Lied, das heißstürmend und bangklagend, doch sanft und versöhnend, den weiten Golf melodisch durchzittert, – ein heiliges Lied der reinsten Begeisterung, wie eine himmelblaue Ahnung aus einer entlegenen Traumwelt. Wer ist der seltsame Sänger, der so gewaltig singt? Wer anders, als Torquato Tasso, der unsterbliche Dichter des befreiten Jerusalems! Eben sinnt er den hehren Gesang: in weitentlegenen Fernen weilt sein prophetischer Geist. In unabsehbaren Scharen eilen die Kreuzesritter an seiner träumenden Seele vorüber, an ihrer Spitze der heldenmüthige Gottfried von Bouillon (s. d.) und der Achill des ersten Kreuzzugs, der königliche Tancred! Wie melancholisch blinken die Kuppeln des hochgebauten Jerusalems! Wie kämpfen, ringen und beben Muhammed's Söhne, wie stolz flattert die Kreuzesfahne über den heiligen Boden!..... Doch da erzittert plötzlich die Stimme des Sängers; ein unendliches Weh klagt sanftweinend aus seinem Liede hervor. Clorinde ist's, die von T. heißgeliebte, die reizende Heidin, welche, gejagt vom wahnsinnigen Hasse der Liebe, eben aus Jerusalems Thoren stürzt, und verkleidet als Ritter, den Geliebten zum Kampfe fordert. Heiß fallen die Streiche von beiden Seiten, bis endlich die Heldin zusammenbricht unter dem tödtlichen Schlag. Es ist so süß zu sterben von liebender Hand; der Haß weicht dann der allmächtigen Liebe. »Tancred,« lispelt sie sterbend in verhallenden Engeltönen, – »ich bin es, deine Clorinde; verzeih' mir im Tode, und weihe mich, ehe ich sterbe, zur Christin durch des Jordans geheiligtes Wasser!« Und erstarrend vernimmt T. die wohlbekannte, theure Stimme; unter glühenden Thränen füllt er den Helm mit dem Wasser der Gnade, und gießt es versöhnend über die schöne Dulderin aus. Da wölbt sich zum Dom der weite Himmelsbogen; da wird der Schlachtruf der ringenden Heere zum Siegespäan der befreiten Seele; eine weiße Taube schwebt sanftleuchtend über die Höhen von Golgatha, und in einer Silberwolke erhebt sich Clorindens verklärter Geist zu den Unsterblichen empor! – T., der Sohn des Markgrafen Odo oder Ottobonus, und Emma's, der Schwester des berühmten Normannenherzogs Robert Guiscard in Apulien und Calabrien, geb. in Sicilien 1078, war nebst Gottfried von Bouillon der Hauptführer des ersten Kreuzzugs. Schon während des Marsches durch Griechenland rettete er das Heer mehr als ein Mal vom Untergange. In der Ebene von Chalcedon vereinigte er sich mit Gottfried von Bouillon, Und schloß hier mit ihm jenen ewigen Freundschaftsbund, über den Tasso den ganzen Zauber seiner Lyrik ergoß. In der Schlacht von Doryläum entriß er das von 200,000 Seldschuken umzingelte Kreuzheer allein durch seine Tapferkeit und Kriegskunst dem unvermeidlichen Verderben. Darauf belagerte er 7 Monate lang das gewaltige Antiochien, nahm nach dem Osterfeste 1099 die Geburtsstadt des göttlichen Erlösers ein, und war der erste, welcher beim Anblicke von Jerusalems heiligen Mauern de Belagerung eröffnete und wie ein leuchtender Blitz des Kriegsgottes ein vorspringendes Gebäude erstürmte, das noch jetzt in Jerusalem nach ihm der Tancredsthurm genannt wird. Bei den Gräueln der Eroberung Jerusalems am 19. Juli desselbigen Jahres, war er der einzige, der sich als Mensch bezeigte. Einen Monat später schlug er in der mörderischen Schlacht bei Askalon das ganze feindliche Heer; und als im Laufe der Zeit durch eigene Schuld wie in Folge des schwankenden Kriegsglücks das christliche Heer einen Lorbeerzweig nach dem andern aus der so mühsam eroberten Siegerkrone verlor, gelang es nur seinem unerschrockenen Heldensinn in einer Hauptschlacht, den Sultan zur Rückkehr über den Euphrat zu zwingen. Doch dieß sollte seine letzte Heldenthat sein: – unbesiegt starb er 1112 zu Antiochien im 35. Jahre seines Alters. – In neuerer Zeit wählte bekanntlich Rossini sinnig diese romantische Blüthe des Ritterthums, und schuf daraus eine seiner schönsten lyrischheroischen Opern, seinen berühmten »Tancred.«

–r.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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