Sardinien

Sardinien

Sardinien. Lange Zeit blieben die Grafen von Savoyen die Hüter der Alpenpässe, ehe sie den Weg nach dem reizenden Süden suchten und fanden. Erst Philibert Emanuel war es, welcher in der Mitte des 16. Jahrh. dem bereits durch das Fürstenthum Piemont vergrößerten Mutterstaate Savoyen eine selbstständigere Stellung verschaffte, und so den ersten Grund zur sardinischen Monarchie legte, welche jetzt auf einem Flächenraum von 1330 QM. 4½ Mill. Ew. zählt, und aus dem Fürstenthum Piemont (mit Montserrat), der Grafschaft Nizza, den Herzogthümern Savoyen und Genua, und der Insel Sardinien im mittelländ. Meere besteht. Die Grenzen des Festlandes sind demnach im Norden die Schweiz, im Osten das lombardisch-venetianische Königreich und die Herzogthümer Parma und Lucca, im Westen Frankreich und im Süden das mittelländische Meer. – Die 430 Quadrat M. große und von 520,000 Menschen bewohnte Insel S. ist die nächste wilde Nachbarin Corsica's, und von diesem Felseneilande nur durch eine schmale Meerenge – die Straße von St. Bonifacio – getrennt. Unter dem tiefblauen Himmel, der nur am fernen Horizont von weißen Wolken gesäumt erscheint, erhebt sie sich aus den noch dunkleren Wogen, eine wilde, zerrissene Gebirgslandschaft bildend, über deren einsame Felsenwipfel der Adler schwebt. Erst im Nahen erblickt man den prangenden Süden in der üppigsten Vegetation: – Olivenwaldungen und dunkelglänzende Citronen- und Orangenhaine an den sanften Berggeländen in den sonnigen Thalgründen; darüber hinaus kahle Bergwipfel, auf welchen der halbwilde, in Felle gekleidete Hirt mit seinem aufrechtgehaltenen Stabe wie ein Steinbild erscheint. Wilde Blumen von ganz eigenthümlicher und wunderbarer Schönheit, welche den Bienen genug der süßen Nahrung bieten, bedecken die Auen, auf denen zugleich jenes fast fabelhafte Kraut wächst, dessen Genuß tödtliche Zuckungen und schrecklichen Lachkrampf erzeugen soll; daher der Ausdruck: »sardonisches Lächeln.« Doch stören die Schönheit der reichen Landschaft auch öde, unfruchtbare Sandschollen und weiß candirte, flache Gruben, in denen durch reichliche Verdünstung in der glühenden Sonne Seesalz in großer Menge und von besonderer Güte gewonnen wird. Diese Dünste und der Alles austrocknende Sirocco machen aber das sonst so sanfte und milde Klima der Insel zu einem sehr gefährlichen. Die Städte und Dörfer sind meist reizend, zuweilen schaurig wild gelegen, jedoch eng, ungepflastert und, – eine Folge des Mangels an Kultur und Volksbildung – sehr öde. So gewährt namentlich der Hafen von Cagliari, der Hauptstadt der Insel, einen sehr trostlosen Anblick, da er trotz seiner Tiefe und herrlichen Lage doch nur meist von elenden Fischer- und Küstenfahrzeugen belebt wird; – ein trostloses Bild der ganzen so fruchtbaren Insel, die nur einiger Kultur bedürfte, um die reichste der Tyrrhenischen Inseln zu werden. – Die Sarden sind von mittler Statur und gut gebaut, mit dunklen Augen und schwarzem Haar, dürftig und faul, von feurigem Geist, aber auch unversöhnlich bei Beleidigungen. Von den Frauen läßt sich nicht viel mehr rühmen, als daß glühende Naturgefühle bei ihnen die Stelle der mangelnden Bildung vertreten. Die Sonne des Südens hat ihre Hautfarbe gedunkelt, und das Feuer ihres Temperamentes, welches sie leicht mit der glühendsten Eifersucht erfüllt, strahlt aus den schwarzen, glänzenden Augen. Ihre Heiterkeit und natürliche Anmuth und die phantastische Leichtigkeit ihrer Kleidung macht die halbwilden Schönen dieses Landes zu so reizvollen Erscheinungen, daß sich daraus fast die Sagen der Alten von der bezaubernden Anziehungskraft der Sirenen erklären läßt – Das Herzogthum Savoyen ist ein 176 Quadrat M. großes Alpenland, das physisch durch die grauen Alpen völlig von Italien getrennt wird. Es ist voll tiefer Schluchten und enger Thäler, und an seiner Ostgrenze ragen hoch der riesige Montblanc und der St. Bernhard empor und starren mit ihren Gletschern und Eisfeldern in die tiefen Thäler hinab. Reißende Wildbäche stürzen schäumend und tobend von den Eisfeldern herab, der Rhone und die Isere bewässern anmuthige Thäler, und alles dieß im Verein mit den Seen von Annecy, Bourget und einem Theile des Genfer bildet ein Gemälde, welches alle Wunder der Alpenwelt darbietet. Die Einw., die Savoyarden, deren Anzahl sich etwa auf eine halbe Million beläuft, sind fröhliche, fleißige Menschen, die wegen der Armuth des vaterländischen Bodens häufig als Soldaten, Schuhputzer oder Schornsteinfeger, früher auch mit Murmelthieren, in fremde Länder wandern. Die Frauen sind außerordentlich fruchtbar; aber sie werden früh alt, und in den engen Thälern sind gewöhnlich Mann und Frau häßlich und durch ungeheuere Kröpfe verunstaltet. Die Hauptstadt des Landes ist Chambery. – Ein großes, weites, von den Alpen und den Apenninen malerisch umgürtetes Thal ist das 500 Quadrat M. große Fürstenthum Piemont, die Perle der sard. Krone, herrlich vom Po bewässert und unter dem mildesten Himmel gelegen, ein zwischen himmelhohem Schnee und Eisfeldern hervorblühendes Thalland mit der üppigen Fülle einer südlichen Vegetation in ihrem ganzen Umfange. Die Einwohnerzahl beläuft sich auf 2,465,000. Die Bergbewohner zeichnen sich durch Biederkeit und Muth aus; die Piemontesen in den Thälern sind abgeschliffen und schlau. Die Mädchen und Frauen wissen ihr Haar höchst geschmackvoll zu flechten und bald mit Kämmen, bald mit silbernen Nadeln zu befestigen; ältere Frauen tragen einen leinenen Schleier. In manchen Gegenden tragen sie mit rothen Bändern verzierte Schürzen, deren Breite und Reihenzahl die Frau, Witwe oder das Mädchen bezeichnet. Sehr niedlich ist die Tracht der Frauen in der Gegend von Aosta: ein kurzes, dicht anschließendes Röckchen von brauner Farbe mit dem gleich einem spanischen Kragen umgelegten Busenstreifen und einem kleinen, seitwärts auf dem Kopfe befestigten Hute. In P. ist auch die prachtvolle Hauptstadt des ganzen Königreichs: Turin (s. d.). – Ein schmaler, aber langer, durch die Seealpen und die Apenninen von Piemont getrennter Küstenstrich längs des mittelländischen Meeres umfaßt die 60 Quadrat M. große Grafschaft Nizza mit 220,000 Ew., das Herzogthum Genua und Fürstenthum Montserrat mit seinem Areal von 160 Quadrat M. mit 800,000 Ew., – beides meist fortlaufende Felsenbuchten und kleine Thäler mit sichern Häfen und herrlichen Südfrüchten, aber geringem Getreidebau.

B....i.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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