Palermo

Palermo

Palermo, die Hauptstadt Sicilien's, gewährt von der Seeseite das mittelalterliche Bild hoher, massiver Ringmauern mit Schießscharten versehen. Desto überraschender ist der Eindruck des Innern der Stadt bei dem Eintritt durch das Seethor. Dort öffnet sich eine breite, schnurgerade, unabsehbar-lange Straße, an beiden Seiten von palastartigen Häusern besetzt, mit flachen Dächern und breiten Altanen. Diese herrliche, meilenlange Straße heißt der Casserano, und wird in der Mitte von einer zweiten nicht minder schönen Straße, die Macqueda, durchschnitten, so daß dadurch das schöne Palermo, bevölkert von 160,000 Ew., in vier ziemlich gleiche Quartiere getheilt wird. Die Stadt dehnt sich am Fuße hoher Berge meilenlang in einem breiten Thalgrunde aus und endet auf der Höhe mit dem Kloster der heiligen Rosalie. Das öffentliche Volksleben in Palermo bietet die heitersten Genrebilder. Man erinnere sich, daß im Süden der Himmel so wunderklar, die Natur so reizend, die Luft so warm, durch Seewinde gekühlt und von Wohlgerüchen durchdrungen ist, daß der Mensch, wie mit magischer Gewalt, sich hinausgezogen fühlt in's Freie. Schon um 4 Uhr Morgens, wenn der erste Sonnenstrahl die zahlreichen Kuppeln der Kirchen und Spitzen der vielen Thürme vergoldet, hört man überall, mit kleinen Glocken, zur Frühmesse lauten. Einzelne Frauen eilen der Kirche zu. Bald hierauf kommen die Ziegenhirten mit ihren Heerden vom Lande herein durch die Straßen gezogen und schreien mit durchdringender Stimme: Latte! Latte frevea! Chi vuol buon Latte di capra!1 Hunderte der leichtgekleideten Verkäuferinnen umringen mit ihren Töpfen die Heerde. Kaum ist diese in die Macqueda getrieben, so ziehen Gemüse-Bauern und Weiber ein, deren hochbepackte Körbe von Eseln getragen werden, und ihr Geschrei: Carote! Carote! Oh che belle Carote etc.!2 erfüllt die Luft. Ihnen folgen die Gärtner, die ihre Maluni di Tavola, Pumi d'amore, Pitrusini3 ausschreien. Oh che belle Friaule! belli belli belli Portugalli4 hört man dazwischen durchdringen. Um 5 Uhr öffnen sich alle Kaffehäuser und Serbeterlen. Der Raum vor den Thüren derselben wird besprengt, gekehrt und mit Stühlen besetzt; die ersten Kunden strömen herbei, es sind die Fachini (Lastträger), die dort für 4–6 Gran mit aller ihrer südlichen Lebendigkeit und lärmendem Geschrei ihre Tasse mit Brod empfangen. Noch eine halbe Stunde vergeht, und alle Kaufläden sind geöffnet und glänzende Magazine ausgelegt; überall haben die Straßenverkäufer ihre kleinen, mit Goldflittern und Wachsengelchen verzierten Buden besetzt und mit Stentorstimme schreien die sitzenden und wandernden Wasserverkäufer, Aqua Signori, Aqua fresca! oder Chi bere Aqua cun ginerra! u con lumini5. Andere empfehlen ihre Belli Meluni d'aqua, und wieder Andere durchziehen mit Eiswasser alle Straßen. Um 8 Uhr beginnt schon die Hitze fühlbar zu werden; vor den Kassehäusern und Fenstern werden die weißen zeltartigen Markisen nieder gelassen; unter den Sonnendächern der Erstern versammeln sich die Kaufleute, Schiffscapitaine. Notare und Makler und halten dort ihre Börse ab; die Galanterieläden füllen sich mit Damen; vor den offenen Bureaus der zahllosen Advokaten und Procuratoren wird schreiend gestritten, verhandelt und disputirt; um den Tisch des Memorialista, der an der Straßenecke sitzt, sammeln sich die Kunden aus allen Ständen; schüchtern mit gesenkten Blicken flüstert dort ein junges Mädchen dem graubärtigen Geschäftsmann die Bestellung eines Liebesbriefchens zu; da verlangt ein Anderer eine Supplik an den König. Nun aber beginnt das Gedränge vor den Lottocomptoiren. Hunderttausend für 4 Grani zu gewinnen – welche herzberauschende Möglichkeit! – Dann öffnen sich die Werkstätten, die offen in den Erdgeschossen oder, wie die der Schuster und Schneider, nach offener Straße sich befinden. Eine ameisenartige Thätigkeit beginnt; alle das Hämmern und Klopfen, Feilen, Hobeln und Rasseln, Singen und Schreien durcheinander gibt einen tollen, sinnverwirrenden Lärm. Doch plötzlich verstummt das rasende Getümmel, Todtenstille tritt ein, die Masse entwirrt sich, alle entblößen das Haupt und verneigen sich, viele sinken auf die Knie – ein Geistlicher schreitet daher im vollen Ornat und trägt das hochwürdige Gut einem Sterbenden zu; die Trommelschläger, Chorknaben mit den Rauchfässern und brennenden Kerzen, der Priester mit der Monstranz unter einem Sonnenschirm gehend, dann wieder Chorknaben mit großen brennenden Laternen auf hohen Stangen getragen; das alles wallet seltsam und phantastisch vorüber durch die ehrerbietig-schweigende Menge, und einen Augenblick später beginnt wieder das vorige heillose Gewirr und Gelärm. Kaum aber hat die Mittagsstunde gelautet, so verläuft sich die Menge; alle Läden und Kaffehäuser werden geschlossen, und verödet erscheint der brausende Casserano und die. wogende Macqueda; es ist die Stunde der Siesta, und Todtenstille ruht auf der weiten, wie ausgestorbenen Stadt. – Um vier Uhr bevölkern sich abermals alle Balkone und die Schattenhaine der flachen Dächer; der Casserano wird wieder lebendig; es beginnt die Ernte der Bänkelsänger, Taschenspieler, Hunde- und Affentanzmeister, Marionetten, Policillellos und Straßenmusikanten. Und je mehr die Sonne sinkt, desto reger wird alles Volksleben. Vor den Häusern sitzen ganze Gesellschaften und unterhalten sich mit Conversation, Musik und Gesang. Nun kommen die glänzenden, oft wunderlich-verzierten altmodigen Carossen in Bewegung. Damen im reichsten Diamantenschmuck, mit Federn und Schleiern verziert, fahren vor dem Seethore, wo die sogenannte Passeggiata eine herrliche Promenade, den Corso der Palermitaner, bildet. Eine Menge Stutzer (Particiotti), mit goldenen Ringen und Ketten geschmückt, seidene Regenschirme gegen die Sonne über sich haltend, traben zu Fuße oder zu Pferde am Kutschschlage ihrer Adorata nebenher. Am Pavillon brauset die Harmoniemusik; dort halten die Wagen; dort wird geflüstert und gewinkt, geplaudert und gelacht nach Herzenslust; doch plötzlich ertönt von funfzig Thürmen der Stadt auf einmal das feierliche Ave-Geläute herüber und im Augenblicke schweigt die Musik; die Damen erheben sich von ihren Sitzen, alle Herren nehmen die Hüte ab; ein leises Gemurmel der drei Ave-Maria, die jeder betet, zieht durch die regungslose Menge. Doch mit dem letzten Amen beginnt ein brausendes Freudengeschrei, womit der Abendstern (der Stern der Liebe) begrüßt wird und lärmend und geschwätzig wünscht man sich gegenseits die: buona Notte!6 – Es schlägt 8 Uhr, die Zeit der Oper und des Abendessens. Die Passeggiata wird menschenleer. Nach allen Richtungen rollen die Wagen zur Stadt zurück. Der Casserano strahlt nun in glänzender Beleuchtung. Mit jeder Minute vermehrt sich das Gedränge; alles ist Leben und Bewegung. Der Fischmarkt, mit Lichtern besteckt, beginnt jetzt unter Geschrei der Verkäufer. Um 9 Uhr hält das Rosario seine Umzüge, das ist eine Procession von allen Ständen, unter Absingung des Rosenkranzes. Sie zieht jeden Abend mit Wachskerzen oder Laternen, aus einer der zahlreichen Kirchen, durch die Hauptstraßen; der murmelnde Gesang von Tausenden, aus der Ferne angehört, tönt melodisch und wehmüthig. Doch gleich darauf, im starken Contrast mit diesem fernen Zuge, erschallt der Zapfenstreich mit vierfacher türkischer Regimentsmusik. So dauert das Getümmel fort bis gegen Mitternacht. Alsdann erstirbt allmälig alles Volksleben, nur noch hier und dort vor einem Marienbilde hört man sanften vierstimmigen Frauengesang, oder eine einsame Mandoline begleitet die klagenden weichen Töne eines Liebesliedes durch die Stille der Nacht. Hinter dem Gitter lauscht dann wohl ein schöner Mädchenkopf und flüstert schmachtend ihr: buona Notte, Idolo mio! – Es muß etwas unbeschreiblich Süßes in solchem Gruß liegen; denn die Frauen Palermo's sind, im Gegensatz zu denen Neapels, unendlich zarter, weißer und schöner als die Männer. Die der geringeren Stände sind leicht bekleidet, tragen ein weißes Zipfeltuch auf dem Kopfe und einen braunen Mantel. Beiden Geschlechtern ist die Neigung zu Gold- und Juwelenschmuck eigen. Selbst der Hafenarbeiter mit nackten Armen und Beinen trägt einen großen goldenen Ring im rechten Ohr. Die höheren Stände kleiden sich nach französischer Mode, doch mit vorherrschendem Geschmack an lebhaften Farben, Seidenstoffen und phantastischen Zierden. Ein Volkstanz, den man oft in den stillern Seitenstraßen tanzen sieht, begleitet durch Schnalzen und Schnellen mit den Fingern, gleicht dem spanischen Fandango. – Palermo wird von häufigen Erdbeben heimgesucht, doch nur zweimal (1726,1823) ist dadurch bedeutender Schaden geschehen. Zu den merkwürdigen Gebäuden gehören der Palast des Vicekönigs, der des Erzbischofs, das große Hospital, das St. Clarenkloster, das ehemalige Profoßhaus der Jesuiten, die erzbischöfliche Domkirche, das Rathhaus und mehrere aus Marmor erbaute Thore. Die Universität, die Akademia Reale, und eine ansehnliche Bibliothek, sind berühmte wissenschaftliche Anstalten. Der Seidenhandel der Stadt ist bedeutend.

B....i.

1Milch, frische Milch! Wer will gute Milch von Ziegen!
2Möhren, Möhren, o wie schöne Möhren!
3Tafelmelonen, Liebesäpfel, Petersilie!
4O wie schöne Erdbeeren, schöne, schöne Orangen.
5Wasser, ihr Herren, frisches Wasser! – mit Genever oder Citronensaft! Wem beliebt?
6Gute Nacht!


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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