Abhärtung (Heilkunst)

Abhärtung (Heilkunst)

Abhärtung (Heilkunst) ist in Bezug auf den menschlichen Körper die durch Gewohnheit oder Kraft des Geistes erlangte Festigkeit desselben, den gewöhnlichen äußern Eindrücken ohne schädliche Folgen Trotz bieten zu können. Sie bildet den Gegensatz von Verzärtelung oder Verweichlichung (s. d.). Der einfach lebende Naturmensch oder der vorurtheilsfrei erzogene, gebildete Mensch ist natürlich oder durch Gewohnheit abgehärtet; der cultivirte, in verfeinerten Genüssen schwelgende und mit zu ängstlicher Sorgfalt erzogene Mensch aber ist nur durch geistige Kraft im Stande, die Vorurtheile zu besiegen, welche eine übertriebene Zärtlichkeit tief in das Gemüth des Kindes pflanzte. Noch größere geistige Kraft erfordert es, die ersten Versuche zur Erstarkung des dadurch theils verzärtelten, theils wirklich geschwächten Körpers zu machen. Es ist eine der schwierigsten Aufgaben, Menschen, die in Wolle sich kleiden und mit warmem Wasser waschen, an kühlere Bekleidung und kaltes Wasser zu gewöhnen. Die Abhärtung des Körpers, oder der natürliche, nicht durch Verwöhnung veränderte Zustand desselben ist die schönste Mitgift für das ganze Leben. Ein abgehärteter Körper ist von allen den kleinen und großen Leiden befreit, welche im Allgemeinen Folge übertriebener Cultur, wie im Besondern Folge der Verzärtelung sind. Das fühlten die Alten sehr lebhaft; ihre Sitten, Gebräuche, Kleidung und ihre Spiele beweisen klar, daß es ihnen um Erhaltung der Körperkraft zu thun war, und sie zeigten eine große Ueberlegenheit in der Würdigung der Natur, weil sie dem weiblichen Körper eben so gut Kraftäußerungen und Entbehrungen auferlegten, als dem männlichen. Die griechischen Jungfrauen übten sich im Wettlauf, und die spartanischen schliefen unbekleidet auf bloßen Binsen bei kalter Witterung; Frauen und Mädchen kämpften in der Vorzeit gleich ihren Männern und Vätern, und das Weib germanischen Stammes war im Kampfgewühle an der Seite des Gatten, ihm das tödtende Geschoß, den stärkenden Trank und ärztliche Hilfe zu reichen. Die Göttinnen der Alten sind alle kräftige Frauen, und Nordlands Walküren vergötterte Heldenmädchen. Unser Zeitalter dagegen benimmt den Mädchen und Frauen immer mehr die Gelegenheit, den Körper abzuhärten. Den Damen höherer Gesellschaft bleibt außer dem stundenlangen Spaziergange oder der sehr leichten Ballbekleidung kein Hilfsmittel mehr dazu übrig; alle ihre körperstärkenden Bewegungen und Gehen und Tanzen. Bei diesen geringen Anstrengungen verliert der weibliche Körper an Muskel- und Spannkraft, der kräftig weibliche Ausdruck geht verloren. Bei der Lebensweise gebildeter Völker sind abhärtende Bewegungen und Gewohnheiten zur Vertilgung oder Verarbeitung der für den Körper schädlichen, reizenden Nahrungsmittel sehr nöthig, sonst wird der Körper immer reizbarer und von Krankheiten heimgesucht, die den abgehärteten Körper nicht befallen. Man vergleiche das Leben einer städtischen Dame und das eines Kindes der Natur. Alle die Beschwerden, welche das Mädchen vom zwölften oder funfzehnten Jahre an befallen, alle die periodischen Leiden und die mannichfaltigen Unbequemlichkeiten zur Zeit, wo ihnen als Frauen das höchste Erdenglück des Weibes, das Mutterwerden, bevorsteht, ja die oft gefährlichen Unordnungen, welche im höhern Alter das Aufhören dieser Functionen begleiten, verdanken ihr Entstehen mehr oder weniger der vernachlässigten Abhärtung. Welche traurige Existenz, von jedem Lüftchen Reißen, von jeder Speise Magendrücken, von jedem Geruch Kopfschmerz, nach jeder Aufregung Ohnmachten und Krämpfe zu bekommen! Welcher Verlust, wenn statt des mannlichen Weibes mit schwellenden Gliedern, glanzerfüllten Augen, blühenden Wangen und üppigem Haar, ein schwankendes Wesen mit gelblich bleicher Farbe, ohne Glanz im Auge und ohne Rundung des Körpers vor uns erscheint als Meisterstück der Schöpfung, dessen Anblick die Kunst der Mode nur erträglich macht. Daran ist bloß der Mangel an Abhärtung schuld. Die schönsten Kindergestalten verkümmern unter dem Despotismus der Verzärtelung, und werden schwächliche Mütter noch schwächerer Kinder. Man kann sich durch nach und nach erfolgte Entwöhnung ungemein abhärten. Leichte Kleidung härtet den Körper gegen Erkältung ab; die Haut ist nicht bloß an den Händen und im Gesichte der Abhärtung fähig, denn Frauen z. B. haben weit seltener als Männer Halsbeschwerden, weil sie den Hals freier tragen. Kaltes Wasser stärkt die Nerven und macht sie geschickt, den Eindrücken zu widerstehen, ohne krankhaft ergriffen zu werden. Angestrengte Bewegung und Arbeit härtet die Muskeln ab, und macht uns fähig, Beschwerden zu ertragen, so wie es die Organe durch Hervorbringung einer gleichen Säftevertheilung vor Blutanhäufung und dadurch bedingten Krankheiten schützt. Ein kühles und hartes Nachtlager bewahrt vor Erschlaffung. Man halte Kinder, die das erste Lebensalter überschritten haben, kühl in Kleidung und Nachtlager, wasche sie stets mit kaltem Wasser, härte frühzeitig ihren Magen dadurch ab, daß man nicht zu ängstlich in der Auswahl der zu einander passenden Speisen und Getränke sei, lasse den Körper regelmäßige Bewegungen und Kraftanstrengungen machen, und man wird gesunde Kinder haben. Erwachsene, die so erzogen sind, mögen ja keine Rückschritte machen. Man hüte sich vor der ersten Weichlichkeit, vor der ersten Aeußerung einer schwächlichen Bequemlichkeit. Es folgen ihr sogleich mehrere nach. Hat man sich verweichlicht, so rufe man sich nur mit Kraft zu: Ich will, ich schäme mich meiner Schwäche! und es wird gehen. Einmal versucht, und stolz erhebt uns das Gefühl, eine Schwäche besiegt zu haben. Wer von Natur aus verweichlicht ist, muß nach und nach und mit vieler Vorsicht zur Abhärtung schreiten, aber jedem, wo nicht etwa schon lebenverzehrende Krankheiten keimen, ist sie zu empfehlen, vor Allem aber dem schönen Geschlechte, dem sie das herrlichste Mittel zur Erhaltung des mächtig herrschenden Liebreizes sein wird, der nur bei Verzärtelten nach kurzer Zeit und den ersten Aufopferungen des Körpers schon verschwindet, und bei kräftig abgehärteten Frauen bis in spätere Jahre verbleibt. Abhärtung gegen heftige Reize, wie Wein u. s. w. ist Abstumpfung. Siehe Bäder, Gymnastik.

D.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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