Madrid

Madrid

Madrid. Hat der Reisende von Frankreich aus den spanischen Boden betreten, um Madrid zu besuchen, und steht er endlich auf dem höchsten Gipfel des Guadarmagebirges, so ist es vor Allem eine weite, öde, baumlose, unangebaute Ebene, welche den Gesichtskreis begrenzt. Kein frisches Grün, kein blühendes Saatfeld bietet dem Auge einen erquickenden Ruhepunkt. Fernhin zeigt sich ein weißer Streif; es sind die trägen Wellen des Manzanares; das Auge folgt seinem Lauf, und es entdeckt eine verworrene Masse von Häusern, Palästen, Kirchen und Klöstern, das ist – Madrid, die Hauptstadt Spaniens, der Mittelpunkt einer Wüstenei. Dennoch will man sie kennen lernen, man verläßt die Berge, durchzieht zwei Tage die langweiligste Straße von der Welt und steht endlich ohne Uebergang von Landhäusern oder Vorstädten, an dem Thore von Funcaral. Plötzlich umgibt uns das rauschende Leben einer großen Residenzstadt mit 180,000 Ew. und 506 Straßen. Viele schmutzig, enge, düster, andere breit, reinlich, mit himmelhohen Gebäuden, deren zahllose, dicht an einander gereihte Fenster von weißen Markisen wie lustige Segelschiffe überwehet sind. Welch ein Leben auf diesen Straßen, welche Verschiedenheit der Kleidung und Gestalten! Jede Stunde des Tages und der Nacht bringt neuen, überraschenden Wechsel. Der früheste Morgen gehört den Ausrufern und den Ziegenheerden, die durch die Straßen getrieben werden, um sich vor jedem Hause melken zu lassen. Zwischen durch drängen sich die braunen Aguadores (Wasserträger) meistens Galicier, zu den Fontainen, und stolze Bettler erwachen auf den Marmorstufen der Kirchen, um ihre Almosen einzufordern; denn eben beginnt die Frühmesse, und zierliche Frauen in die schwarzseidene Basquiña und die Mantilla von schwarzem Flor gehüllt, mit hohem verziertem Kamm und der Rose in schwarzem Haar, mit dem Fächer und Gebetbuch in der Hand, eilen in die geöffneten Kirchen und knien nieder auf dem Marmorgetäfel des fast maurischen Doms. Aber alles Leben in den Kirchen, auf den Straßen, in den Häusern erstirbt, sobald die Mittagssonne ihre glühenden Strahlen sendet. Alles ruht in den Armen der Siesta und erwacht erst gegen Abend. Der Prado, diese achtfache Reihe der herrlichsten Bäume, die sich mit ihren breiten Gängen durch die schönsten Theile der Stadt ziehen, füllt sich jetzt mit einer glänzenden Menschenmenge. Gewandte Reiter auf andalusischen Rossen, zahlreiche Equipagen, bald im neuesten Geschmack, bald in alter, solider Pracht spanischer Grandezza, füllen den Mittelweg. In den Seitenalleen drängen sich elegant gekleidete Fußgänger. Hier und auf den Balkons, in den Kirchen und im Theater sieht man die spanische Frauenwelt mit allem Zauber ihres wunderbaren Liebreizes. Jene schlanken, üppigen Gestalten, voller Grazie, Stolz und südlichem Feuer; mit Augen, in denen die leiseste Regung des Gefühls sich spiegelt, mit jener anziehenden Koketterie des Fächers, des schönen Halses und der Füße, begleitet von dem Cortejo, der, dem italienischen Cavaliere servente ähnelnd, nur mehr Rechte in Anspruch nimmt. Neigt sich endlich der Tag, so ertönen Guitarrenklänge unter den Balkons oder zum Tanze des Fandango, begleitet mit Castagnetten, ausgeführt von einem Majo und einer Maja, und versammeln einen dichten Kreis von Zuschauern um sich. Ehe aber die Nacht ihren dunkeln Fittig über dieses Chaos spannt, wer würde da nicht auf den breiten Trottoirs der herrlichen Straßen von Alcala, S. Bernardo und Fuencarral gewandelt sein, um die kolossalen Gebäude der königl. Duane, den alten Palast des Friedensfürsten, die antike Bauart der prachtvollen Puerta d'Alcala, den Plaza mayor und la Puerta del Sol, den Sammelplatz der Geschäftsleute und den königl. Palast mit den steinernen Löwen Ferdinand's II. angestaunt haben, dem gegenüber das ehemalige Residenzschloß Buen retiro mit seinem schönen Parke liegt. Doch nicht alles Sehens- und Bemerkenswerthe vermag der Fremde in Madrid an einem Tage zu erschöpfen. Noch bleiben ihm die 77 Kirchen und zahlreichen Klöster übrig, welche inzwischen die neueste Zeit ihrer Bewohner beraubt hat, ferner treffliche Bibliotheken, Museen und Kunstsammlungen, die Universität, eine Menge Fabriken, das Amphitheater zu Stiergefechten und in der Umgebung die Luftschlösser Pardo, Casa del Campo und endlich bei weiteren Ausflügen Aranjuez mit seinen herrlichen Bäumen und das Riesenkloster Escurial mit dem Königspalast.

B....i.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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