Hauser, Kaspar

Hauser, Kaspar

Hauser, Kaspar. Am zweiten Pfingstfeiertag 1828 erschien gegen 5 Uhr Abends am Hallerpförtchen in Nürnberg ein in Bauerntracht gekleideter junger Mensch, dessen körperliche Haltung und Jammergestalt jedermann auffiel und der wie ein Trunkener vorwärts wankend einen Brief in der Hand hielt mit der Aufschrift: »An Titl. Hrn. Wohlgeborner Rittmeister bei 4. Esgatron bei 6. Schwolische Regiment. Nürnberg.« Ein Bürger brachte ihn in das Quartier des Officiers, an welchen der Brief gerichtet war, indeß ihn der sonderbare Unbekannte mit einem Geschwätz von unverständlichen Reden unterhielt. Da der Rittmeister nicht zu Hause war, so suchte man den Erbarmungswürdigen auszuforschen, konnte aber auf mancherlei Fragen keine Antwort erhalten als Thränen, unartikulirte Töne und die öfters wiederkehrenden Worte: »Reuta wähn, wie mei Vottä wähn is.« Man setzte ihm Bier und Fleisch vor, aber kaum genossen, brach er es wieder von sich, dagegen stillte er seinen Heißhunger und Durst mit Schwarzbrod und frischem Wasser. Als der Rittmeister die Nachricht erhielt, ein wilder Mensch sei angekommen, eilte er zu ihm, vermochte aber weder durch ihn, noch aus dem höchst verdächtigen Brief etwas Anderes zu erfahren, als die Nothwendigkeit, ihn noch selbigen Abend auf die Stadtpolizei bringen zu lassen. Vergeblich suchte man auch hier etwas herauszubringen. Kläglich lallende Töne, Aechzen und Stöhnen waren die Ausdrücke aller seiner Empfindungen. Er glich einem 2 bis 3jährigen Kind in einem 17 bis 18jährigen Körper, dessen weiße Haut und zarter Gliederbau mit seiner Bauerntracht in eben so auffallendem Kontrast stand als seine hellbraunen, sein gekräuselten Locken mit seinem bäuerischen Haarschnitt. Woher er gekommen und wer er wäre, Niemand wußte es, nur aus dem Briefe ergab sich, daß er in der Taufe den Namen Kaspar erhalten haben sollte. Vergeblich suchten die Behörden das Geheimniß zu enthüllen, welches über diesem Unglücklichen lag. Nach den sorgfältigsten Bemühungen, nachdem Hauser sich einigermaßen erholt und das Sprechen gelernt hatte, brachte man von ihm in Erfahrung: daß er in seiner frühesten Kindheit schon von aller menschlichen Gesellschaft abgeschlossen in einem unterirdischen Kerker bei Wasser und Brod erhalten worden sei, durch einen Menschen, der, während er geschlafen. ihn gewaschen und gekleidet habe. In dieser Grube habe er nur aufrecht sitzen können und kein Schein des Lichts sei in sie gedrungen Ein Hemd und Kinderbeinkleider war dort seine Kleidung und sein beständiges Spielzeug zwei hölzerne Pferdchen. Von dem Manne habe er nur erst vor Kurzem das Gehen und seinen Namen schreiben gelernt. Endlich habe ihn dieser auf die Schultern genommen und ihn aus seinem Kerker hinaus eine Treppe und einen Berg hinaufgetragen und nach Nürnberg gebracht. Sonst wußte Hauser Nichts von sich zu sagen. Da auch alle Nachforschungen über seine unnatürlichen Tyrannen vergeblich blieben, so wurde er vom Magistrate zu Nürnberg einem sorgfältigen Erzieher anvertraut. Dieser fand in ihm eine Alles verschlingende Wißbegierde und Ausdauer, ein bewundernswürdiges Gedächtniß und seltene Schärfe der Sinne, besonders des Gesichts und Geruchs. Doch wiewohl sich sein auffallender Gang und seine täppischen Bewegungen bald ganz verloren, fing er doch an zu kränkeln. Fast interessirte man sich nicht mehr für ihn, als ein auf ihn gerichteter Mordversuch neue und allgemeine Theilnahme erregte, aber Niemand vermochte den Thäter zu entdecken. Lord Stanhope, der damals durch Nürnberg reiste, nahm sich des Unglücklichen als Pflegevater an und ließ ihn auf einige Zeit in Ansbach. Dort wurde er am 14. December 1833 im Hofgarten, von einem fremden Manne, wie ihn Hauser beschrieb, mit einem Backen- und Schnurbart in einem blauen, roth aufgeschlagenen Mantel, am Utzischen Monument überfallen, durch Dolchstiche tödtlich verwundet, an denen er drei Tage später verschied. Den Mörder haben alle Nachspürungen nicht erreichen können, obschon der König von Baiern sowohl als Lord Stanhope große Summen für seine Entdeckung geboten haben.

J.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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