Fry, Elisabeth

Fry, Elisabeth

Fry, Elisabeth, Elisabeth, der Engel der Gefängnisse. Zahlreich und verschieden sind die Wege, die zu dem Tempel der Unsterblichkeit führen, nicht die Kampfplätze der Schlachten, nicht die Bahnen des öffentlichen Staatslebens sind es allein, die des Ruhmes Lorbeern erzeugen, und eine höhere Palme, als der Preis für Kunst- und wissenschaftliche Bestrebungen gewährt der Nachruhm der Edeln, die zur Verminderung menschlicher Noth ihre Kräfte aufwendeten. Ueberall und zu allen Zeiten hat es Helden der Menschheit, die oft auch an ihr zu Märtyrern wurden, gegeben, die Kulturgeschichten, die Annalen der Entdeckungen und Erfindungen künden uns viele Namen; größer aber ist die Anzahl derer, von denen kein Denkmal, kein Zeugniß ihrer Mitwelt auf uns gekommen ist, die sich mit dem Bewußtsein ihres Werthes, ihrer Aufopferung begnügten und in der Anerkennung, in dem Dank der Unglücklichen, deren Elend sie linderten, ihren schönsten Lohn fanden. John Howard, einer der edelsten Menschen, die jemals zum Besten des leidenden Theiles der Menschheit gewirkt haben, der Mann, welcher sich den erhabenen Lebenszweck gesetzt hatte, von den Gefängnissen der Verbrecher den Fluch, der auf ihnen lastete, Gräber der Lebendigen in geistiger, moralischer und körperlicher Hinsicht zu sein, zu wenden, der Mann, den sein rastloses Streben nach diesem Ziele durch alle Kerker unsers Erdtheils und in die Jammerhöhlen Asiens trieb, aus denen kein Flehen um Erbarmen hervordringen konnte, John Howard, welchem diese Bemühungen das Leben kosteten, war der Vorgänger der Elisabeth Fry. Nachdem er von den Kerkern seines Vaterlandes, die nach der Strenge der englischen Gesetze eine zahllose Menge von Sträflingen ohne Unterschied ihres Verbrechens und des höhern oder geringern Grades ihrer Strafbarkeit einschließen, über das ganze übrige Europa sein hochherziges Streben ausgedehnt und auf der Halbinsel Krim an der Epidemie eines Gefängnisses 1790 den Tod gefunden hatte, trat Elisabeth Fry in seine Fußtapfen, um das so edelmüthig Begonnene fortzuführen. Tochter eines reichen Gutsbesitzers, John Gurney's auf Eartham-Hall, in der Grafschaft Norfolk, wurde sie 1780 geboren. Von der Natur mit der höchsten, schönsten Weihe der Weiblichkeit, einem frommen, weichen Gefühle, geschmückt, mußte sich ihr Gemüth um so williger und freudiger den Geboten der reinen christlichen Kirche aufschließen, da ihr Vater sich zu der Sekte der Quäker bekannte und auch Elisabeth in den Grundsätzen derselben erziehen ließ. Eine Freischule, welche sie für arme und verwaisete Kinder ihres Geschlechts auf dem väterlichen Schlosse errichtete, war der erste Schritt auf ihrer Laufbahn, die sich bald und zwar durch ihre Verbindung mit Joseph Fry, einem reichen Kaufmanne in London, zu einer größern und segensreichern Wirksamkeit ausbreitete. Welch ein weites Feld öffnete sich hier ihrem Mitleid, ihrer Wohlthätigkeit und auch ihrer Frömmigkeit! Denn Elisabeth begnügte sich nicht damit, die Hungrigen zu speisen, die Kranken zu pflegen, die Entblößten zu kleiden, ihre Menschenliebe umfing mehr als die Qualen äußerer Bedrängnisse, die Gesunkenen zu erheben, die Sünder zu bessern, darauf verwendete sie ihre größte Sorgfalt. So entsproßten Glück und Segen, wohin ihr Fuß sie trug, und nicht ihre Tugenden allein waren es, durch welche Elisabeth's Erscheinung der einer Heiligen glich, es war zugleich die Allmacht der Schönheit und der Jugend, die in ihrem Gefolge waren. Allein das Höchste, das Unglaubliche blieb ihr vorbehalten, ihre uneigennützigste, glühendste Liebe zu der Menschheit mußte sich das erhabenste Ziel vorstecken. Die Gefängnisse von Newgate umfaßten die Wohnungen des unerhörtesten Elends, einer Verworfenheit, die selbst des Mitgefühls sanfte Regung ersticken und jedes Herz mit Schauder und dem höchsten Abscheu erfüllen mußte. Nur mit Mühe und nicht unvorbereitet auf das Gräßliche, das sie sehen wollte, erhielt Elisabeth die Erlaubniß zum Eintritt. In dem Zimmer, wohin sie geführt ward, befanden sich 160 Weiber mit ihren Kindern, Alt und Jung, bereits Verurtheilte, in der Untersuchung noch Befangene, selbst Begnadigte, vielleicht auch Vergessene wühlten halb nackt oder in ekelhaften Lumpen, Verzweiflung und thierische Rohheit in den entstellten Zügen durch einander, fluchend, hungernd, heulend, von nackten Kindern umkrochen – alle in dem einen Gemach, in welches jetzt die holde, zarte Gestalt der Quäkerin wie der Engel der Milde und des Friedens trat. Schon ihre äußere Ankündigung, das Wohlthuende ihres Blicks, der Schmelz ihrer Stimme, die Freundlichkeit ihres Benehmens wirkten wie ein Zauber auf die Gemüther der Entarteten, als aber Worte der Versöhnung und Liebe, wie Silberströme von ihren Lippen flossen, als sie von den Pflichten der Menschlichkeit, der Veredlung sprach, da ging in den nachtumflorten Herzen der Gefangenen der Hoffnung schöner Stern auf und mit ihm zugleich die Sehnsucht, mit ihrer Lage sich selbst zu bessern. Elisabeth unterstützte ihre Trostesworte auf das Nachdrücklichste durch die That, mit leiblichen und geistigen Bedürfnissen reich versehen kam sie zu einem zweiten Besuch, und als sie der ersten körperlichen Noth abgeholfen hatte, trat sie unter die Verbrecherinnen von Newgate mit der Bibel und las ihnen zuerst das Gleichniß vom Hausvater vor. Sie lehrte die Unglücklichen, welche in der Finsterniß ihres Wandels kaum den Namen des göttlichen Erlösers gekannt hatten, die Tröstung, die Liebe, die Versöhnung der Religion, und als sie ihnen den Vorschlag machte, im Gefängniß eine Schule für die Kinder der Gefangenen zu errichten, da weinten selbst die Sittenlosesten und Verworfensten unter den Weibern Thränen des Dankes und der Freude. Jetzt, nachdem die Keime edler Gefühle, die im Verirrtesten selbst ruhen, geweckt und gepflegt worden waren, nachdem die Mütter aus freier Wahl ihre Uebereinstimmung mit dem menschenfreundlichen Vorhaben der edeln Frau erklärt hatten, war die Bahn gebrochen, und mit bewundernswerther Schnelle gedieh das erhabene Werk sittlicher Veredelung. Ein wohlthätiger Geist der Ordnung war das Erste, worin sich der Einfluß offenbarte, den die schonende Hand der Tugend auf das Laster jederzeit ausübt. Elisabeth hatte die Einwilligung der Vorgesetzten der Gefängnisse leicht erhalten, und mit erneutem Muthe schritt sie nun an die Ausführung. Ihre Erwartungen wurden weit übertroffen, die Mütter stritten sich mit ihren Kindern um das Glück, den Unterricht zu genießen, gleichgesinnte Freundinnen vereinten sich mit der hochherzigen Stifterin und bald entschloß sich der edle Frauenbund auf Elisabeth Fry's Vorschlag zur Begründung einer Lehr- und Arbeitsschule für die bereits verurtheilten Gefangenen. Was ganz London für unausführbar gehalten hatte, ging seiner Erfüllung entgegen, siebenzig verurtheilte Verbrecherinnen wurden in den neu eröffneten Arbeitssaal eingeführt, und der Verein von zwölf edeln Frauen, die Elisabeth um sich versammelt hatte, begann seine Wirksamkeit. Außer der Kinderschule gaben sie abwechselnd den Erwachsenen Unterricht und leiteten neben einer Oberwerkmeisterin, welche nie das Haus verläßt, die Beschäftigungen und Unterhaltungen der Gefangenen; die Behörden der Stadt überzeugten sich von der segensreichen Umwandlung, und die ganze Stadt strömte in Scharen, das neue Institut zu sehen und ebenso die Ordnung und den Fleiß der Verbrecherinnen, als den gottseligen Eifer der Schöpferinnen eines Werkes zu bewundern, das unglaublich geschienen hatte. Der Zudrang wurde so groß, daß ein Tag in der Woche für den Zutritt der Fremden festgesetzt werden mußte. Noch eine dritte Schule, die auf eine Bittschrift der noch nicht verurtheilten Frauen in Newgate eingerichtet wurde, hat gleichfalls seitdem den unnennbarsten Segen gestiftet: Hunderte, die als unwissend und ungeschickt dahin gekommen waren, verließen als Unterrichtete, Gebildete und Geschickte das Gefängniß. Und so steht dieses Haus, früher als der Abgrund alles menschlichen Verderbens verrufen, gegenwärtig da als eine Anstalt der Thätigkeit und Emsigkeit. Der Newgateverein erhielt zahlreiche Beweise der öffentlichen und schmeichelhaftesten Anerkennung von Seiten der königlichen Familie, der Stadt London und ganz Englands, und freiwillige reiche Geschenke und Beiträge zur Unterstützung und Bestreitung des Kostenaufwands Elisabeth Fry, die edle Schöpferin des so glücklich begonnenen Werkes, wirkt an der Spitze des Vereins zum Heile des unglücklichsten Theiles der Menschheit noch heute unermüdet fort.

X.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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